inleben

Inhalt ‚cd-inleben‘ (ostblock rekords)
fegefeuer.jp bild: robert kellner
Das Streben nach Selbständigkeit und mir Unbekanntem beinhaltete im meinem Suchen immer auch eine gewisse Abwehrreaktion Neuem gegenüber. So sehr mich diese Haltung zunächst am Vorwärtsschreiten hinderte, brachte sie mich doch immer wieder an den Punkt, der mich zu elementaren Überlegungen zurückkatapultierte und zu mir neuen Klangstrukturen führte.
Wie kräfteraubend und ineffizient dieser Prozess des Beginnens auch sein mochte, so intensiv mündete er jedesmal in einen Ausbruch an Energie des Erschaffens – wenngleich nach der Fertigstellung eines neuen Stückes immer wieder eine Starre folgte, die neues kontinuierliches Arbeiten unmöglich machte.
Wenn allerdings Material, Prozess und Inhalt festgelegt waren, folgte sogleich eine intensive Phase des Improvisierens und Experimentierens. Das Ergebnis waren dann fein ausgearbeitete Details, wie auch grössere Formen, die ich trotz ihrer etwaigen technischen Unvollkommenheit unverändert liess, da sie vor allem den Moment der Idee und des spontanen Ausbruchs festhielten.
So galten die vielen Klicks und Verzerrungen, auch gleich als Teil der Idee und Aufforderung zum Spiel, Herausforderung – unverzichtbares Element.
die seidenschere im porzellanland fasst all diese Aspekte wohl am klarsten zusammen und mag auch als zentrales Werk dieser ersten intensiven Phase (2003 – 2007) der Beschäftigung mit elektroakustischer Musik in ihren verschiedenen Erscheinungsformen gelten. Die Auswahl des Hauptmaterials in seiner Gegensätzlichkeit (Kirchenglocken und Porzellanscherben), die Verwendung analoger Tonbandmanipulationen und einfacher digitaler Transformationen, Auswahl und Anwendung der ‚field recordings‘ und schliesslich die Spannung konkreter Klänge (bis hin zu komplexen Clustern, die sich bis zur ‚Schmerzgrenze‘ entfalten dürfen), deuten auf verschiedenste Verbindungen hin, die zwischen den einzelnen Stücken bestehen.
Ein weiterer Grundpfeiler war für mich auch die selbstauferlegte Limitierung des Ausgangsmaterials, das in dem jeweiligen Stück verwendet wurde (inklusive einiger, nicht im Konzept vorgesehener ‚Klangfremdkörper‘).
So lassen sich im Nachhinein natürlich viele Verbindungen und logische Schlüsse bilden, die im Wesentlichen auch auf eine persönliche Entwicklung hindeuten, wobei Fragen nach der eigenen Herkunft wie auch der Umwelt eine zentrale Rolle einnehmen.
In miniaturen 1-3, die seidenschere im porzellanland und inleben sind diese persönlichen Verbindungen und Hinweise zu den jeweiligen Aufnahmen von Anfang an gewollt, da die subjektive Nähe ein zentraler Ausgangspunkt für den jeweiligen Verlauf und technischen Prozess war.
cut 04 und sehermans sadness mögen sich hier zwar klangästhetisch und in ihrer Komplexität stark von den anderen Stücken unterscheiden, ermöglichen jedoch einen Einblick in meine Herangehensweise, die sich in den anderen Stücken nur ausformuliert zeigt.

inleben:
Bild1813

Entwickelt als Auftragswerk (Audioinstallation) fuer den Architekten Andreas Treusch, der von Philips eingeladen wurde, einen Frachtcontainer zu gestalten, der in Folge zusammen mit anderen ‚Lichtcontainern‘ präsentiert wurde [philips -> ‚transitions’light on the move].

treusch&philips/seher[inleben]
Vorgabe war eine Art ‚Ladeprozess‘ (akku-charger), visuell dargestellt – derart, dass jeder Innenseite des Containers Lichtfolgen in Komplementärfarben zugeordnet wurden.
Schon bald war klar, dass statt der geforderten 1-3 Minuten „tieffrequenten akustischen Ladeprozess“ sich eine längere Struktur entwickeln musste, die vorerst ca. 7 1/2 Minuten umfasste und zu einem von der Lichtinstallation unabhaengigen Werk führte.
Die erste Lichtdramaturgie folgte zwar noch dem musikalischen Verlauf und ebnete den Weg zur endgültigen Form (15min), in der sich die Lichtdramaturgie einmal wiederholen sollte. Dieses Konzept sprengte jedoch nicht nur sämtliche zeitlichen Vorstellungen, sondern stiess auch an inhaltliche Grenzen, die letztlich in einer Installation mündeten, deren akustischer Beitrag die ersten 35 Sekunden von „inleben“ bildeten.
Geblieben ist ein Werk, das seinem Auftrag entwachsen ist.

text: peter seher mit vielen aufmerksamkeiten von guenther rabl
p_kniet
artwork: joerg huber photo: claire jones

‚inlebenkritik‘ -> music information center austria (mica)
http://www.musicaustria.at/magazin/jazz-improvisierte-musik/artikel-berichte/peter-seher-inleben