vorwort

1. vorwort

"AN IHREN DATEN SOLLT IHR SIE ERKENNEN."
                            Guenther Rabl

Der rechner ist heute in der  industrialisierten welt ein allgemein verbreiteter alltagsgegenstand. Spaetestens seit 1995 auch unterrichtsobjekt an gymnasien, hauptschulen...
Mir war in meiner schulzeit nur ein praktikum ueber 3-4 wochen (6 stunden
in der woche) gegoennt, wobei alles nur theoretisch (ohne computer) behandelt wurde.
Somit gehoere ich einer generation an, die zum teil in der schulzeit noch keine computererfahrungen hatte und wo auch zuhause kein computer vorhanden war. Natuerlich gab es zu dieser zeit schon einige jugendliche, die zuhause einen computer ihrer eltern verwendeten (da die ersten erschwinglichen pcs fuer "private", um 1990, auf den markt gekommen sind) bzw jugendliche, die sich grundsaetzlich fuer "technik" begeistern konnten. Wie dem auch sei, jedenfalls lehnte ich den computer sehr lange kategorisch ab (obwohl er fuer mich als "spieleplatz", sehr beliebt war). Damit verbunden war dann auch ablehnung jeder elektronischen musik und erst mit neunzehn jahren begann ich interesse
fuer "musik am rechner" zu entwickeln (vor allem ueber freunde). Ich war allerdings zu nichts mehr imstande als die prozesse zu kopieren, die mir gezeigt wurden und mir zu sagen "ich verstehe nichts von technik" bzw. "das lerne ich nie"...  Das "ding" an sich und wie es funktionierte, ist mir auch noch weit in die zeit des lehrganges fuer "computermusik und elektronische medien" verborgen geblieben. Aehnliches gilt auch fuer die elektronische musik,  grundlagen, communities, musik, aktuelle situation, formen und geschichte der computermusik, die ich erst viel spaeter kennenlernen sollte.
Schliesslich gelangte ich aber auch zur "erkenntnis", dass es sich beim rechner um ein live-musikinstrument handelt, welches eine "seele" besitzt wie jedes andere instrument auch, sofern ihm eine gegeben wird. 

Zu beginn meiner themensuche fuer die abschlussarbeit am lehrgang fuer computermusik und elektronische medien fasste ich als erstes
den gedanken, dass der computer in zukunft die gitarre als populaerstes
musikinstrument abloesen wuerde, koennte oder bereits haette.
Dies wollte ich vor allem auch im zusammenhang einer oeffnung der elektronischen musik, von einer vorerst nur "elitaeren" schicht zu einer der "allgemeinheit" zugaenglichen praxis, verstehen. Hinzufuegen moechte ich hierbei auch, dass sich
in dieser relativ kurzen entwicklung der elektronischen musik, alle formen im kleinen wiederholen, die die musikevolution ueber jahrhunderte gemacht hatte.

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Vor allem durch neue klang-geraeuschformen war der "output" der elektronischen musik sehr stark inspirierend fuer die instrumental-klassische musikwelt und hat auch auf diese weise zur westlichen "klangevolution" der musik beigetragen. 
Ob es sich bei meinem ersten gedanken zur "gitarre des 21 jh." um eine vision oder realitaet handelt, werde ich zwar auch nicht in dieser arbeit beantworten koennen, aber vielleicht wird darin eine momentaufnahme sichtbar, die die weiteren wege in eine neue klangzukunft andeuten kann.
Die wichtigste these, die ich in dieser arbeit formulieren moechte ist, dass die "computermusik" (auch als weiterentwicklung der elektroakustik), ein einschneidendes moment in der klangevolution ist, auf die man zurueckblicken wird, wie auf die einfuehrung der notation oder der temperierten stimmung ...
... kurz gesagt auch die etwas "provokante" behauptung, dass erst jetzt die westliche musik in ihre muendigkeit entlassen wird, mit einhergehender veraenderung musikgesellschaftlicher traditionen.
Es ist aber auch meine feste ueberzeugung , dass der weg in eine "neue klangwelt" letztendlich nur im zuge einer geistigen, sozialen, gesellschaflich-kulturellen veraenderung stattfinden kann/koennen wird. 

Schon nach meinem ersten gespraech im herbst 2005 mit germ‡n toro-pŽrez (ich befasste mich mit diesem thema schon seit sommer 2005), verwies er mich u.a.
auf franco evangelisti, der eine anthropologie zur musikevolution in
essayform schrieb ("Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt"). Diese ist zwar unvollendet geblieben, muendet jedoch sehr profund und aufschlussreich in eine kritik an der zeitgenoessischen musik, appeliert aber vor allem aber an eine neue notwendige veraenderung in der westlichen musikwelt. Zb: "Erst dann kann es moeglicherweise einen anderen Weg geben, einen neuen Weg, der nicht mehr instinktiv beschritten wird. Ich sagte >Neue Klangwelt<, da man diese Welt nicht mehr Musik nennen wird; denn wir gehen von einer radikalen Umwandlung der inneren Organisation des Klanges aus"1).

Weitere quellen waren u.a. edgard var�se, ferrucio busoni, anton webern,
theodor w. adorno und trevor wishart,
wobei ich mich hauptsaechlich auf das 100seitige essay von evangelisti konzentrierte. Dies geschah auch aus dem grund, da all die genannten komponisten bzw. theoretiker (ausser t. wishart) mehrfach "durchleuchtet" wurden, waehrend evangelisti im vergleich dazu kaum beachtung fand. Natuerlich waere es vermessen, ein aehnliches ziel zu verfolgen wie evangelisti, der zwanzig jahre lang immer wieder an diesem essay arbeitete und so in "kurzer" form eine ungleich grosse zeitspanne, mit dementsprechender aktualitaet, beschrieb. Vielleicht ist nicht mehr alles aktuell, vieles koennte jedoch auch heute noch genauso geschrieben und als eine vision abgetan werden.

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Fuer mich gelten jedoch ganz andere voraussetzungen als fuer evangelisti, er war mit vielen grossen komponisten und theoretikern in kontakt, konnte durch sein kompositionswissen vieles in partituren erkennen, "ueberpruefen", herauslesen und hoeren, was mir in dieser form unmoeglich ist. Er studierte sehr ausfuehrlich von darwin bis dobzsansky die evolution des menschen, um seine theorien auf ein festes fundament zu errichten und hat es so verstanden, auch einer heutigen generation vieles zu erklaeren, das noch lange nicht selbstverstaendlich sein wird.

Bedeutend sind auch die gespraeche mit germ‡n toro-perŽz und guenther rabl, die mich korrigierten, sofern es ihnen gelingen konnte bzw. ich es verstand.
"Man versteht erst etwas, wenn man es auch erklaeren (bzw. beweisen) kann."; ein oft gehoerter satz, der auch durchaus seine berechtigung hat. Jedoch ist eine vision die man versteht, erklaeren und beweisen kann, nicht schon eine vision die sich erfuellt hat?

Wie dem auch sei, ich habe vieles gehoert und gelernt in den vergangenen vier jahren, des oefteren vorlesungen wiederholt und dennoch vieles nicht so verstanden, um es auch erklaeren zu koennen. Jedoch habe ich vieles zumindest ge- bzw. erfuehlt und dieses moment in mir behalten, das als wichtiges moment zu jeder vision gehoert:
naemlich eine sensibilisierung der sinne, des fuehlens und der wahrnehmung.
Auch wenn meine arbeit nicht ein visionaeres werk darstellen wird, moechte ich es wenigstens als einen versuch verstehen, sich der gegenwart anzunaehern. Spannender koennte ja auch vielleicht "nur" die frage sein, in welcher vision leben wir denn heute ?
Es ist mir zwar bewusst, meine theorien nicht auf so ein sicheres fundament gestellt zu haben, wie es grosse theoretiker und komponisten - siehe meine literaturliste - taten. Auf der anderen seite befreit es mich jedoch auch von dem zwang, "meine" beweisen zu muessen, auch wenn es absicht ist.
Ich weiss auch nicht, wie sehr solche thematik musikschaffende beschaeftigt, beschaeftigen sollte und die "antwort" der gegenwart nur die groesste subjektivitaet wiedergibt.

1) (s.83, f. evangelisti "Musik-Konzepte" Heft 43/44) 

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