3. 2a. 1

3. 2. 1. kurze reflektionen zu „Incontro di fasce sonore“ und „Campi integrati n. 2“

 

Pour Franco

 

Sa vraie histoire

ne se dissipe pas

Une solitude o�

n’entra jamais

personne

La musique nous

realiat

Il s’occupait

de presque tout

avec un savoir

catŽgorique

L’impulsivetŽ m�me

mais un sublime

de duceur

Son appel est venu-

au revoir mon frŽre

 

Giacinto Scelsi

 

Diese reflektion ueber zwei „stuecke“ franco evangelisti’s bedarf einer kurzen einleitung, da ich beide kompositionen als sehr bezeichnend empfinde fuer die verschiedenen ebenen sowohl in dieser arbeit, als auch einblicke in evangelisti’s „musik-gedankenwelt“ ermoeglichen, wiewohl auch einen menschlich sehr wichtigen aspekt in sich bergen: die erfahrung des „scheiterns“, und dessen moeglichkeiten, aussichten und der „chance“, die es eroeffnet.

 

Ich moechte voranstellen, dass diese besprechung kein versuch einer analyse ist, im sinne einer beschaeftigung vom „kleinsten“ detail (partitur) zur form des grossen „ganzen“ vorzudringen. Die annaeherung erfolgte ueber eine sensibilisierung des hoerens und artikulation des „empfindens“ (aus den gruenden, die im vorwort ersichtlich werden), welches eher den nicht „wissenschaftlichen“ methoden zugeordnet wird, denn eine ernsthafte „strukturanalyse“, in folge, im umfang erfordert. Besonders jegliche „form“ der beschaeftigung beinhaltet, die moeglichkeit sowohl zum „erkennen“ wie auch zur „taeuschung“ zu fuehren. Umso herzlicher moechte ich mich nochmals bei germ‡n toro-pŽrez bedanken, der die zeit und geduld gefunden hatte mit mir eine ernsthafte „empfindungsreflexion“ ueber die

 

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zwei stuecke zu „sinnieren“, in form eines gespraeches. Dessen worte ebenso teil vieler gedanken dieser reflexionen sind, wie auch meine. Leider, war ich etwas „vordeterminiert“, durch meine intensiven auseinandersetzung mit franco evangelisti. So ist mir, unabhaengig von evangelisti, selbstverstaendlich die aesthetik bzw. technik der „klaren koelner klangschule“ wohlbekannt gewesen (wie natuerlich auch g. toro-pŽrez), und habe mich auch mit einer ausfuehrlichen analyse und entwicklungsverlauf (von claudio annibaldi in „Musik-Konzepte; Franco Evangelisti“), von „campi integrati n. 2“ beschaeftigt. Es sei jedoch erwaehnt, dass es schon im winter 2005 geschah und g. toro-perŽz durch einmaliges hoeren, wahrscheinlich mehr entdeckte, als ich in meiner beschaeftigung mit der analyse verstanden habe (was auch nicht gerade eine staerke, meiner faehigkeiten darstellt!). Jedenfalls war ein gespraech die folge, das von aehnlicher informationsdichte, der zwei „teile“, zu aussagen gelangte, die ich mir erhoffte und mich bestaetigte diese „form“ (das gespraech) der „analyse“ zu suchen. Denn eines war im vorhinein ein zentrales anliegen: „ich mochte in dieser reflexion, der beiden stuecke, KEINE PARTITURANALYSE“!

Aber auch ein starkes beduerfniss, mit meinen „klangeindruecken“ nicht im vollkommen haltlosen und spekulativen zu „schweben“, waren ein bedeutender faktor, und das ich erst kurz vor der beendigung der „abschlussarbeit“, an eine aufnahme gelangte, die gluecklicherweise auch eine „authentische“ ist (von der urauffuehrung, 1979 in rom, der evangelisti noch persoenlich beiwohnte und sie unmittelbar beeinflusste).

 

Die „posthume“ besondere werschaetzung eines kollegen (g. scelsi), von denen beiden aus offensichtlich eine herzliche freundschaft und achtung voraus ging, sei als „beispiel“ erwaehnt, dass evangelisti nicht vollkommen „isoliert“ war. Auch wenn scelsi ebenfalls ein „aussenseiterdasein“ fuehrte das gleich wie bei evangelisti, aus einem selbst gewaehlten, kosequent und kontinuierlich verfolgten „weg“ resultierte.

 

Sowohl „incontro di fasce sonore“ (1954-55) als auch „campi integrati n. 2“ (1959-1979), liegt eine grosse divergenz zugrunde, die von einer, ueber lange zeit verfolgten „haltung“, bestimmt war. Die beiden stuecke sind, wie zwei klammern die vollkommen verschiedene lebensabschnitte eingrenzen und andere grundemotionen zugrunde liegen. Im kern jedoch, aus der perspektive der konzeption, dem gleichen jahrzehnt entstammen (1954 bzw 1959), allerdings deren realisierung sowohl ueber „fruehwerk“, als auch einen einblick in das letzte musikalische schaffen und gedankenwelt evangelisti’s erlauben. Zwischen ihnen liegt ein fast zwanzig jaehriges „schweigen“, dessen stetiges festhalten, reflektieren und ergruenden, evangelisti’s wohl wichtigstes „erbe“ symbolisiert: sein essay „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“, dem er seine intensivste aufmerksamkeit widmete. Wahrscheinlich weil das wahrnehmen seiner musikalischen werke und sein musikalisches „wollen“, so intensiv es forderten.

 

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Keine entwicklung oder aussicht, auf die hoffnung einer „neuen klangzukunft“, bewogen ihn mehr zum musikalischen schaffen und erlauben tiefen einblick in ein „klanglich“ und menschliches suchen.

 

Eine der wichtigsten ergebnisse des „reflexionsgespraeches“ war, wie sich die bedeutung der stuecke aus kenntnis und perspektive der schriften, entwicklung, gedanken und lebensphase evangelisti’s betrachtet veraendern, vollkommen andere einblicke, einsichten und assoziationen gewaehren, die sich nur schwer vom analytischen hoeren trennen lassen.

So scheint seine „vision“ besonders nicht hauptsaechlich in einer angewandten „klanglichen“, sondern eher „geistigen haltung“, zu bestehen und der hoffnung/gewissheit einer „neuen klangzukunft“.

Ein weiterer sehr wichtiger aspekt der reflexion war auch, dass evangelisti anscheinend, statt den beweis seiner schriften und gedanken, zu „untermauern“, eher eine „traditionelle“ komposition fertigte, die bei der version „campi integrati n. 2“ (1979) eine „ausnahme“, gegenueber der damals gerade im „trend“ liegenden aktuellen und in entfaltung befindlichen stroemungen darstellt („minimal-music“, „interpretationsabhaengige strukturen“ und „spektraler musik“). So liegt die annahme nahe, dass die struktur von „campi integrati n. 2“, nicht in einem „postseriellen kontext“ zu sehen ist; sondern in einer fast authentischen entwicklung und isolation interpretiert werden koennen. Man findet diese ueberlegungen auch im vorwort des essay’s von evangelisti, das er, dem inhalt entnehmbar, anscheinend, sehr frueh zum grossteil verfasste (meine vermutung; um 1960):

„Sollte ich selbst eventuell aus naheliegenden wirtschaftlichen oder sozialen Gruenden (freilich nach Beendigung dieses Buches) wieder Musik schreiben, erklaere ich schon jetzt, dass ich jene moeglichen spaeteren Werke einzig als Wiederholung schon erprobter, akademischer Formeln betrachte. Was fuer mich zaehlt, ist das Bewusstsein und das Wissen um ihren Wert im Vergleich zu meiner musikalischen Realitaet.“ 1)

 

„Incontro di fasce sonore“ ist eine elektroakustische komposition und wurde in den „koelner studios“, zwischen 1956 bis 1957, enwickelt und produziert. So ist die komposition sehr von der „koelner schule“ und aesthetik gepraegt und stellt keine ungewoehnliche klangwelt dar (aus heutiger sicht), welches sich zur damaligen zeit anders darstellte, da nicht viele elektronischen stuecke produziert wurden und in ihrer herstellung noch sehr aufwendig waren (im verhaeltnis zu heute). Es scheint von grosser zuversicht, dem elektronischen medium gegenueber, gepraegt und wirkt sehr optimistisch (im gegensatz zu „campi integrati n. 2“), das in einer „vitalen“ stilistik und anwendung hoerbar ist. Es haftet jedoch sehr „der zeitliche stempel“ an diesem stueck, wenngleich es durch manche elemente durchaus einen „charakter“ besitzt, der eine eigenstaendigkeit zugesprochen werden kann.

 

 

 

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Zeugt aber vor allem vom interesse/aufgeschlossenheit evangelistis neuer formen, entwicklungen, technik und moeglichkeiten gegenueber, die seine perspektiven und visionen praegten.

 

„campi integrati n. 2 >>giuoco<< fuer 9 Instrumente“ (1979, rom) war ein elektroakustisch, 1959 in warschau, konzipiertes stueck *(claudio annibaldi „Ueber Franco Evangelisti“; in „Musik-Konzepte; Franco Evangelisti“), das evangelisti nicht beendete. Die besetzung besteht aus zwei bratschen, zwei geigen, violoncello, kontrabass und zwei schlagzeugen (information aus der analyse von claudio annibaldi; „Ueber Franco Evangelisti“).

Nach einigen „punktuell lebendigen“ elementen (schlagzeug bzw streicher pizicatti) am beginn, entsteht ein uebergang zu „choralartigen“ (streicher) strukturen, die sehr lyrisch wirken und sich im weiteren verlauf, immer wieder mit punktuellen abschnitten abwechseln. Wobei die manchmal erreichte dichte und punktuellen ereignisse des klanges, im verlauf des stueckes zunimmt und gegen ende wieder in einer eher „nuechternen“ reduktion schliest.

Was vor allem beeindruckt ist die „ehrliche“ offenheit, die durch das wissen seiner beschaeftigung, sich ergruendet und nicht „ueberspielt“ wird. So „wohnt“ dem stueck ein grosser wert inne, der nicht in einer bahnbrechenden musikalischen „inovation“ zu finden ist (im historischen kontext), sondern eine besonderen „haltung“ markiert.

Um es in sinne erwin chargaff’s (biochemiker und schriftsteller) zu halten: einer aufforderung zur verlangsamung von entwicklungen.

 

Vielleicht wird eines tages, doch ein musiker einer „klangzukunft“, die ideen dieses stueckes (in zusammenhang mit evangelisti’s schriften) aufgreifen, welches so viele „freiheiten“ und „interpretationen“ erlaubt, aufgrund der variabilitaet, verschiedenen manuskriptversionen und ideen. Und um optimistisch das kapitel schliesen zu koennen: „campi integrati n. 2“ einer „klangwelt“ zufuehren wird, die sich evangelisti sein leben lang wuenschte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1) s.41 franco evangelisti, „Musik-Konzepte“; Franco Evangelisti“, „Vom Schweigen zu einer neuen Klangwelt“)

 

 

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