3. 4.

3. 4. bedeuten „neue mittel“ auch „neue“ musik?

 

Diese frage ist eindeutig zu verneinen obwohl unterstrichen werden muss, dass mit neuen mitteln zwar neue moeglichkeiten gegeben sind, gleichzeitig sich jedoch genausogut alte formen imitieren lassen, die zu bekannten musikalischen ergebnissen fuehren. Es kommt nicht selten vor, dass allein durch die verwendung von elektronischen geraeten oder computer behauptet bzw. gedacht wird, es handle sich auch um eine neue, moderne oder nicht kategorisierbare musik.

Grundsaetzlich sollte jedoch betont sein, dass die suche nach neuen mitteln immer auch gepraegt ist von dem wunsch nach neuen ausdrucksformen bzw. klanglichen ergebnissen, die zuvor nicht erreichbar waren. Die erweiterung des klangspektrums findet aber nicht nur mit hilfe von elektronik statt, sondern auch im rein zeitgenoessischen instrumentalen bereich ist die „erforschung“ neuer spieltechniken, manipulation und kombination ein wichtiger faktor. Auch die aufnahme von in unserem kulturkreis unbekannten instrumenten, die vor allem im schlagwerk ausdruck findet, hinzunahme von elektronischen mitteln (verstaerkungen, live-elektronik, zuspielungen…), sowie neu entwickelte instrumente wie zb. das trautonium, ontes-martenont, theremin…, fand schnell aufnahme in das instrumentenrepertoire zeitgenoessischer komponisten. Ein beispiel dafuer, dass ein neues instrumentarium zu keinem zufriedenen ergebnis fuehrt, wird von steve reich in „writings about music“ sehr gut beschrieben. Nach einer „studienreise“ in ghana, bei der er instrumente und rhythmen der dortigen staemme studierte, brachte er zwei gong-gongs und zwei atokes mit, um fuer diese instrumente stuecke anzufertigen: „The more I tried to figure out what sort of pieces I would be able to write for them, the more it became clear that the best use for these bells was simply to play the music for which they were intended“ 1). Dieses beispiel zeigt ganz klar, dass ein neues instrument sich nicht automatisch adaptieren laesst und seine klanglichen und einsetzbaren grenzen in sich enthaelt, vorausgesetzt man hat sich mit herkunft und verwendung des instruments beschaeftigt, um zu dieser einsicht zu gelangen. Wobei steve reich versuchte, fuer diese zwei instrumente ein stueck zu schreiben, was zu seiner feststellung fuehrte, es sei ihm nicht zufriedenstellend moeglich. Es schliesst aber auch nicht aus, dass in anderer kombination bzw. einem groesseren instrumentarium ein einsatz moeglich waere oder zu besseren ergebnissen fuehren koennte.

Neue mittel bedeutet nicht unbedingt ein neues instrument, sondern kann auch in einem neuen zusammenhang (instrumentenkombination) oder anwendung (manipulation) geschehen, wo ungewohnte klaenge hoerbar werden, die nicht auf das gewohnte instrument schliessen lassen. Spannender scheint die frage, was mit „neuer musik“ eigentlich gemeint sei bzw. was das sein koennte.

Generell kann man sagen, dass der begriff „neue musik“ seit der zwischenkriegszeit gebraeuchlich wurde, vorerst vor allem im zusammenhang

 

(41)

 

mit der dodekaphonie (12tonkomposition) oder auch „atonaler“ musik; auch wenn der begriff „neue musik“ in frueheren zeiten sicherlich ebenfalls erwaehnung fand, vor allem wenn sich eine veraenderung der klanggewohnheiten oder kompositionsstil abzeichnete. In erinnerung ist mir in diesem zusammenhang hector berlioz, der zur zunahme an perkussiven instrumenten und vor allem der bedienung mehrerer schlaginstrumente durch eine person meinte; diese neue musik sei bestenfalls gut um „die affen tanzen zu lassen“ 2). Schliesslich wird „neue musik“ jedoch als sammelbegriff „unterschiedlicher Musik und Kompositionsrichtungen im 20. und 21. Jahrhundert (…) und als Aufloesung der traditionellen Funktionsharmonik innerhalb der europaeischen Konzertmusik“ 3) oft verwendet. Nach dem 2. weltkrieg wurden neue stile immer oefter zb. die serielle musik, vor allem aber die musik der darmstaedter ferienkurse und des donaueschinger „festivals“, als „zeitgenoessische musik“, „avantgarde“, „moderne“ oder „neue musik“ bezeichnet, was man aber dem swing, free jazz, rock, techno oder popmusik ebenso zugestehen koennte. Adorno meint auch mit neuer musik, die abloesung der klassisch, buergerlichen musik, bezogen auf die neue kompositionstechnik schoenbergs bzw. verwendet in diesem zusammenhang den begriff „neue musik“. „Die Erkenntniskraft der neuen Musik legitimiert sich jedoch damit, dass sie nicht auf die >>grosse buergerliche Vergangenheit<<, auf den heroischen Klassizismus der Revolutionsperiode zurueckgreift, sondern die romantische Differenzierung technisch und damit ihrer Substantialitaet nach in sich aufhebt. Das Subjekt der neuen Musik, worueber dieses Protokoll fuehrt, ist das emanzipierte, vereinsamte, reale der spaetbuergerlichen Phase“ 4). Sicherlich handelt es sich damit aber nicht um eine bezeichnung fuer einen musikstil, sondern muss historisch betrachtet auch als neue musik gesehen werden als adorno seine „philosophie der neuen musik“ schrieb (um 1950), denn die verbreitung der zwoelftonkomposition und bekanntheit wurde erst in darmstadt und donaueschingen vorangetrieben (zumindest erfuhr sie dort enormen aufschwung).

 

Bereits im ersten drittel des 20. jahrhunderts, nach der „integration“ vieler instrumente und der „harmonischen“ ausreizung des „klassischen“ orchesterapparates, stieg das beduerfnis nach neuen instrumenten, klangfarben, harmonien und ausdrucksmittel.

Die elektronische musik begann mit der nutzung der elektrizitaet. Also zirka um die zeit, wo erstmal wieder in der klassischen musikkultur, komponisten (und auch andere) experimente mit anderen tonsystemen begannen (zb. vierteltonklaviere konstruierten; ende des 19. jahrhunderts). In folge entwickelte sich die „elektronen-musik“ langsam, ueber ein jahrhundert, zur „computermusik“. Die neuen „mittel“ vervielfaeltigten sich und erlaubten manigfache anwendungen und „klangphantasien“, die in der elektronischen musik immer den „zeitgeist“ reflektierten. Die frage heute an die elektronische musik gerichtet ist, ob ihr nicht auch ein „typus“ des „komponisten-interpreten“ innewohnt, wie in der traditionellen indischen

 

(42)

 

 

musik (wie sie evangelisti auffasste), mit der gleichen „funktionalitaet“ und will sie in den „raum“ stellen. Jedoch ergaenzt mit der feststellung, das die „abendlaendische musiktradition“, durch technische, tonale und aesthetische entwicklungen, die sie „durchlaufen“ hat, wieder an einen urspruenglichen „endpunkt“ gelangt ist, dessen ueberwindung viel mut erfordern wird. Ein „neues mittel“ ist bereits gefunden, das eine interessante technische entwicklung genommen hat und nicht nur eine „neue“ musik hervorbringen kann, sondern auch einen „zweck“ gegeben scheint, naehmlich die „klangzukunft“ zu gestalten. Das „mittel“ heisst computer, dem fast jegliche tonale, rhythmische und klangliche freiheit moeglich ist und noch langwierigen „instrumentenbau“ erfordern wird.

 

1) s. 57 „writings about music“ steve reich;

2) zitat konnte nicht eruiert werden

3) radiokolleg oe1 (15.05.2006)

– „(…)lange Jahre als sperrige etwas schwer zugaengliche, eine der Haupintentionen, von neuer Musik.“

4) s. 59 „Philosophie der neuen Musik“ theodor w. adorno

 

(43)